David Emling

"It's alright, Ma, it's life and life only." (Bob Dylan)

Kategorie: Zitat des Monats (Seite 2 von 3)

Das Bett, ein Gefängnis

„Du bist nicht unbedeutend, sagten sie ihm. Du hast Freunde. Die Leute bewundern deine Arbeit. Er war schließlich ein guter Vater – mit anderen Worten ein schwacher Mann. Wahre Qualität war etwas anderes, sie war unaufhaltsam, mörderisch, sie hinterließ Opfer wie jede andere Aggression.; kurz gesagt, sie eroberte. […]

Die Nacht bricht herein. Die Kälte liegt auf den Feldern. Das Gras wird zu Stein. Im Bett lag er wie ein Mann im Gefängnis, der vom Leben träumt.“ (James Salter, „Lichtjahre“)

James Salter ist einer jener Autoren, die es vermögen, die vermeintliche Langeweile einer Ehe und eines „erfolgreichen Lebens“ in seiner ganzen Intensität und Tiefe zu erzählen. So auch in „Lichtjahre“, in dem das gut betuchte Paar Viri und Nedra ein solch erfolgreiches Leben führt, aber die Schatten der Vergangenheit sie einholen und die Idylle mehr und mehr bedrohen. So wenig braucht Salter, um die Risse dieses Bildes zu beschreiben.

Being wrong

The fact remains that getting people right is not what living is all about anyway. It’s getting them wrong that is living, getting them wrong and wrong and wrong and then, on careful reconsideration, getting them wrong again. That’s how we know we’re alive: we’re wrong. Maybe the best thing would be to forget being right or wrong about people and just go along for the ride. But if you can do that – well, lucky you. (Philip Roth, „American Pastoral“/ „Amerikanisches Idyll“)

In diesem Werk erzählt Roth die Geschichte des erfolgreichen amerikanischen Einwanderers Seymour Levov und dessen Beziehung zu seiner Tochter Merry. Diese lehnt sich mit 16 Jahren gegen ihren vermeintlich erfolgreichen Vater auf und wird erst zu einer radikalen Terroristin, die für ein Bombenattentat verantwortlich ist, am Ende dann (nach radikaler Wandlung) zu einer asketisch lebenden Jaina, die kein Leben auf dieser Welt gefährden will. In der Mitte dieser unvereinbaren Lebenswelten steht Seymour, ein stets bemühter Vater, Unternehmer und erfolgreich ins Vorort-Leben eingebundener Mensch, der dieses Leben seiner Tochter nicht versteht und nie verstehen wird. Ist das vielleicht unser Schicksal, auf die Spitze getrieben? Wie können wir es schaffen, ein Leben zu führen, das einfach „nur“ gut ist? Roth lässt uns völlig im Unklaren und überlässt es damit dem Leser, eine Antwort (zumindest für sich) zu finden – und wenn sie nur darin besteht, ein Verständnis für den anderen als übertriebenen Anspruch an sich selbst aufzugeben.

Das Leben in einem Zimmer

„Dieses Zimmer – wenn du es einmal betreten hast, kommst du nie wieder richtig raus. Du kannst vergessen, dass du dort bist, du kannst weitermachen, so als hättest du alles unter Kontrolle, als wäre der Verlauf deines Lebens, ja sogar seine Länge, ein Ausdruck deiner Charakterstärke und der Klugheit deiner Entscheidungen. Und dann kommt der Augenblick, da du an einem sonnigen Märztag in der Kurve auf eine vereiste Stelle kommst und das Steuer in deiner Hand wird zu einem Witz und du bist nur noch Zuschauer deiner träumerischen Rutschpartie in den Abgrund, und dann weißt du wieder, wo du bist.“ (Tobias Wolff, Dieses Zimmer, aus: Unsere Geschichte beginnt, Erzählungen)

Mit diesen Worten beschreibt Tobias Wolff mithilfe der Metapher des Zimmers, wie unsicher unser Leben immer ist – und dass das Wissen darum uns nie wieder verlassen wird. Die metaphorische Verdichtung auf einen Raum, in dem man sich im übertragenen Sinne ein Leben lang aufhält, steht für die Unmöglichkeit, trotz aller Vermeidung von Risiken ein gleichsam sicheres Leben zu führen. Eine einzige vereiste Stelle auf der Straße des Lebens (und zwar an einem sonnigen Märztag, also völlig unerwartet) kann reichen, um das Steuer vollkommen aus der Hand und vermeintliche Gewissheiten für immer zu verlieren.

Ehrliche Liebe

Die ehrliche Liebe zwischen zwei Menschen folgt keiner Choreographie. Man kennt die Schritte vorher – auch wenn man es vielleicht noch gar nicht weiß.

Ein eigenes Zitat in Anlehnung an einen Satz aus Dana Grigorceas „Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen“ – und meine literarische Antwort auf die Geburt meiner Tochter Anna-Maria am 17.4.2018 und die Liebe zu meiner Frau.

Feierabendliche Goldränder

Ausgepumpte, fast reglos in ihren Stühlen liegende Menschen empfinde ich als besonders schön. Sie wirken, mild von der Sonne beschienen, wie die endlich zur Betrachtung freigegebenen feierabendlichen Goldränder unserer Leistungsgesellschaft.“ (Wilhelm Genazino, „Das Glück in glücksfernen Zeiten“)

In diesen ersten Sätzen seines Romans deutet Genazino an, worum es im Folgenden geht. Sein Protagonist Gerhard Warlich sitzt nach einem langen Arbeitstag in einem Café und beobachtet die Menschen um sich.  Es geht ihnen offenbar allen wie ihm: Sie sind müde, fertig, entkräftet, von einer Arbeit, die sie ernährt, aber dumpf zurücklässt. Und der Beobachter Warlich, vom Leben übermannt, fragt sich: Muss das so sein? Geht leben/Leben nicht auch anders? Es ist diese eine Frage, die dem ganzen Roman seine subtile Sprengkraft verleiht und den Leser mit der gleichen Frage zurücklässt, die wir alle für uns selbst zu beantworten haben.

Zufriedenheit

Und es begann dieses beschwingte Geplauder zufriedener Menschen, die nichts als einsehen, dass es ein schöner Tag ist, mit einer hellen Sonne und weißen Schwänen auf dem See, in einer der schönsten Städte der Welt, mit freundlichen, sorglos wirkenden Menschen.“ (Dana Grigorcea, „Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen“)

 

Mit diesen Worten zu Beginn ihrer Novelle „Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen“ rahmt Dana Grigorcea die Handlung einer Liebesgeschichte. Die eigentlich in den hohen Kreisen der Stadt Zürich verkehrende Ballerina Anna lernt zufällig den Gärtner Gürkan kennen, der ihr auf Anhieb sympathisch ist. Sie mögen und verlieben sich. Die Autorin zeigt mit diesen Worten, wie einfach eine Beziehung zwischen zwei Menschen sein kann, die sich gern haben und schließlich lieben lernen. Es sind keine großen Erkenntnisse und theoretischen Gedanken, wie sie Annas liebenswürdiger und bemühter Mann, vor allem aber ihre Berufswelt, die Kunst, von sich geben, die der Protagonistin wie auch dem Leser im Gedächtnis bleiben. Es sind jene einfachen, und dadurch wahrhaften Begegnungen, die im Leben so wichtig zu sein scheinen und es deshalb lebenswert machen.

 

 

Abschluss

Als es dunkel wurde, ging sie nach Hause. Niemand wartete dort auf sie. Die Luft war immer noch wie am Mittag, als wäre die Dämmerung in der Stadt nur eine Fehlleistung der Augen. Straßenlaternen: Lichtkneipen für Insekten. Schaufensterpuppen: Cartoonfiguren in den Kleidern ihrer Zeichner. Und Sterne: Welten, die so klein waren, dass Hunderte von ihnen zwischen ein paar abendliche Baumäste passten. (Clemens J. Setz, „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“)

Mit diesen Worten schließt Clemens J. Setz das erste Kapitel seines tausendseitigen Romans „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ ab, das er mutigerweise „Abschluss“ nennt. Und genau das schafft er: Obwohl der Leser sich auf eine ergreifende Geschichte freuen kann (Klaus Kastberger, Jury-Mitglied des Ingeborg-Bachmann-Preises, sagt nicht zu unrecht, dass man an diesem Roman nicht vorbeikommen kann oder besser dürfte) und wir erst am Anfang sind, ist in diesen ersten Seiten schon vieles, mit wenigen Worten eigentlich alles „abschließend“ über die Protagonistin, ihr Leben und die Stimmung, in der das Folgende sich abspielt, gesagt.

 

Wenn wir Glück haben

„Wenn wir Glück haben, Autor wie Leser, dann sitzen wir nach den letzten Zeilen einer Kurzgeschichte einfach nur eine Minute da, ganz still. Im Idealfall denken wir nach über das, was wir gerade geschrieben oder gelesen haben. Vielleicht hat sich unser Herz oder unser Verstand ein wenig von der Stelle bewegt. Unsere Körpertemperatur ist gestiegen oder gefallen. Und dann atmen wir ruhig und regelmäßig, wir reißen uns zusammen, Autor wie Leser, stehen auf und wenden uns wieder dem Nächstliegenden zu. Dem Leben. Immer dem Leben.“ (Raymond Carver)

Mit diesen Worten beschreibt der amerikanische Meister der Kurzgeschichte Raymond Carver, was wir als Autoren ebenso wie als Menschen von der Literatur erwarten dürfen. Ein kurzes Innehalten, ein kleiner Ausbruch aus dem Leben, wie es uns als gegeben erscheint – mehr kann es nie sein, und doch ist vielleicht gerade das genug. Wenn wir Glück haben zumindest.

Verlässliche Größe im Leben?

„Das Gedächtnis ist keine verlässliche Größe im Leben, aus dem einfachen Grund, dass für das Gedächtnis nicht die Wahrheit wichtig ist.“ (Karl Ove Knausgard, „Spielen“)

Im dritten Roman seinen sechsbändigen autobiografischen Werks „Min Kamp“ schreibt Karl Ove Knausgard über seine Kindheit. Es ist wie so oft bei großen Schriftstellern: In den Texten passiert wenig bis nichts, und doch gärt es unter der Oberfläche. Es ist dieses Gären, das der Autor schonungslos beschreibt und doch die Perspektive eines Kindes übernehmen kann, das sich noch über Pfannkuchen und ein nachmittägliches Fußballspiel am Fernseher mit seinem Bruder und Vater freut – und bei all dem schon früh lernt, wie kompliziert das Leben sein kann und das nichts, aber auch gar nichts, einfach ist.

 

Zwischen den Zeilen

1

Es gibt viele schöne Dinge

für ein Gedicht, die ein Gedicht

nicht mehr brauchen,

weil sie so schön sind.

 

2

Dennoch, ich wollte sie nennen, alle,

bis zur weißen Blüte der Kirsche.

 

3

Aber immer, zwischen den Zeilen,

bleibt etwas übrig. (Kurt Drawert, „Zwischen den Zeilen“)

Mit diesem Gedicht beschreibt Kurt Drawert die Wichtigkeit und Bedeutung des literarischen Schreibens auch und gerade in unserer heutigen Zeit. Und deshalb bleibt nur, ihn auch hier zu zitieren mit folgenden Worten:

„Aber kann eigentlich etwas schwieriger, komplexer und rätselhafter sein, als das Leben selbst, das zu verstehen wir uns bemühen mit den Mitteln der Sprache und der Literatur? Wo sind wir hingekommen, wenn wir keine Instanz mehr suchen, die das Leben dort reflektiert, wo es festgefahren ist und in der Sackgasse steckt. […] Mit dem Schönen können wir sehr gut allein sein, mit dem Unglück nicht.“

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