David Emling

"It's alright, Ma, it's life and life only." (Bob Dylan)

Autor: David Emling (Seite 4 von 6)

Hartes Wissen

„Mit dem Wort war auch die nostalgisch-melancholische Stimmung des Hinwegs wieder da, bloß erinnerte er sich mit einem Mal, woher sie ihn angeflogen hatte: Es war die Tristesse der Kinderzeit, wenn irgendwann Anfang Januar mit der weißen Schneedecke auch die ozeanische Zeit der adventlichen und weihnachtlichen Wunderdurchlässigkeit, die Lichtergemütlichkeit, der familiären Stallwärme zerschmolz und fadenscheinig wurde und wegfaulte und die ewige Spirale des neuen Jahres mit seinen Anforderungen und Bedrohungen und dem schmerzhaften Abschuppen wohltätiger Illusionen einen neuen spürbaren Anstieg nahm hin zu neuem, desillusionierendem, hartem Wissen.“(Michael Kleeberg, „Vaterjahre“)

Hier beschreibt Michael Kleeberg die melancholische Stimmung, die viele Menschen bei der Rückkehr zu ihrer Kindheit erfasst. Vor allem die Weihnachtszeit ist dafür prädestiniert, gibt sie doch am Jahresende immer Anlass dazu, Bilanz zu ziehen. So ergeht es auch „Charly“ Karlmann, die Hauptfigur des Romans „Vaterjahre“, der als junger Familienvater so oft in Situationen und eine gesellschaftliche Role gerät, die er für sich gar nicht vorgesehen hat.

Ankündigung – neue Veröffentlichung

In Kürze wird meine Kurzgeschichte „Ferner Schlaf“ gleich auf zwei Kanälen zu lesen sein.

Zum Einen auf der Kurzgeschichtenplattform „smartstorys“, bei der man einen kurzfristigen Zugang erwerben und diverse Kurzgeschichten lesen kann (www.smartstorys.at)

Zum Anderen wird „Ferner Schlaf“ Anfang 2019 in der nächsten Ausgabe der „Wortschau“ erscheinen. Infos und News finden sich auf www.wortschau.com

 

 

Richtungsentscheidung

„Wenn man wüsste, in welche Richtung das alles gehen, was geschehen wird. Es ist nicht ganz einfach, die Wirklichkeit einschätzen und sich festlegen zu müssen, obwohl die Umstände, die man sich wünscht, im Angebot nicht geführt werden.“ (Arno Geiger, „Es geht uns gut“)

Mit diesem Satz, den der Autor einem der Protagonisten, Dr. Richard Sterk, in den Mund legt, zeigt Geiger auf, was im Zentrum des Romans steht. Auch wenn verschiedene Mitglieder einer Wiener Familie über rund 7 Jahrzehnte hinweg verschiedenste Gefühlsregungen, politische Umwälzungen sowie umgekehrt depressive Einsamkeit und Langeweile erleben, bleibt ihnen eines gemein: Die Unvorhersehbarkeit des Lebens selbst. Sie ist es, die alle miteinander verbindet und ihnen gleichermaßen die großen Aufgaben und Richtungsentscheidungen im Leben abtrotzt – ohne dass die Betroffenen eine Vorstellung davon haben, ob sie das Richtige tun.

Neue Veranstaltungsreihe in Ludwigshafen

Im neu gegründeten Kulturcafé „Franz und Lissy“ in der Lisztstraße 176 in Ludwigshafen werde ich im November gemeinsam mit Eleonore Hefner von „Kultur Rhein-Neckar“ zwei Veranstaltungen moderieren.

Unter dem Stichwort „Kunst und Politik“ diskutieren wir mit Politikern und Künstlerinnen über die Verbindung von Kunst und Politik und wie das Verhältnis beider beschaffen ist und/oder vielleicht sein sollte.

Termine:

Mittwoch, 14. November, 19 Uhr, mit dem Lyriker Hasan Özdemir und der Politikerin Giorgina Kazungu-Haß

Dienstag, 27. November, 19 Uhr, Austellungseröffnung und Buchvorstellung von Wolfgang Vogel, zum Briefwechsel von Rosa Luxemburg und Sophie Liebknecht

Weitere Infos in Kürze unter http://www.franz-und-lissy.de

Das Bett, ein Gefängnis

„Du bist nicht unbedeutend, sagten sie ihm. Du hast Freunde. Die Leute bewundern deine Arbeit. Er war schließlich ein guter Vater – mit anderen Worten ein schwacher Mann. Wahre Qualität war etwas anderes, sie war unaufhaltsam, mörderisch, sie hinterließ Opfer wie jede andere Aggression.; kurz gesagt, sie eroberte. […]

Die Nacht bricht herein. Die Kälte liegt auf den Feldern. Das Gras wird zu Stein. Im Bett lag er wie ein Mann im Gefängnis, der vom Leben träumt.“ (James Salter, „Lichtjahre“)

James Salter ist einer jener Autoren, die es vermögen, die vermeintliche Langeweile einer Ehe und eines „erfolgreichen Lebens“ in seiner ganzen Intensität und Tiefe zu erzählen. So auch in „Lichtjahre“, in dem das gut betuchte Paar Viri und Nedra ein solch erfolgreiches Leben führt, aber die Schatten der Vergangenheit sie einholen und die Idylle mehr und mehr bedrohen. So wenig braucht Salter, um die Risse dieses Bildes zu beschreiben.

Being wrong

The fact remains that getting people right is not what living is all about anyway. It’s getting them wrong that is living, getting them wrong and wrong and wrong and then, on careful reconsideration, getting them wrong again. That’s how we know we’re alive: we’re wrong. Maybe the best thing would be to forget being right or wrong about people and just go along for the ride. But if you can do that – well, lucky you. (Philip Roth, „American Pastoral“/ „Amerikanisches Idyll“)

In diesem Werk erzählt Roth die Geschichte des erfolgreichen amerikanischen Einwanderers Seymour Levov und dessen Beziehung zu seiner Tochter Merry. Diese lehnt sich mit 16 Jahren gegen ihren vermeintlich erfolgreichen Vater auf und wird erst zu einer radikalen Terroristin, die für ein Bombenattentat verantwortlich ist, am Ende dann (nach radikaler Wandlung) zu einer asketisch lebenden Jaina, die kein Leben auf dieser Welt gefährden will. In der Mitte dieser unvereinbaren Lebenswelten steht Seymour, ein stets bemühter Vater, Unternehmer und erfolgreich ins Vorort-Leben eingebundener Mensch, der dieses Leben seiner Tochter nicht versteht und nie verstehen wird. Ist das vielleicht unser Schicksal, auf die Spitze getrieben? Wie können wir es schaffen, ein Leben zu führen, das einfach „nur“ gut ist? Roth lässt uns völlig im Unklaren und überlässt es damit dem Leser, eine Antwort (zumindest für sich) zu finden – und wenn sie nur darin besteht, ein Verständnis für den anderen als übertriebenen Anspruch an sich selbst aufzugeben.

Das Leben in einem Zimmer

„Dieses Zimmer – wenn du es einmal betreten hast, kommst du nie wieder richtig raus. Du kannst vergessen, dass du dort bist, du kannst weitermachen, so als hättest du alles unter Kontrolle, als wäre der Verlauf deines Lebens, ja sogar seine Länge, ein Ausdruck deiner Charakterstärke und der Klugheit deiner Entscheidungen. Und dann kommt der Augenblick, da du an einem sonnigen Märztag in der Kurve auf eine vereiste Stelle kommst und das Steuer in deiner Hand wird zu einem Witz und du bist nur noch Zuschauer deiner träumerischen Rutschpartie in den Abgrund, und dann weißt du wieder, wo du bist.“ (Tobias Wolff, Dieses Zimmer, aus: Unsere Geschichte beginnt, Erzählungen)

Mit diesen Worten beschreibt Tobias Wolff mithilfe der Metapher des Zimmers, wie unsicher unser Leben immer ist – und dass das Wissen darum uns nie wieder verlassen wird. Die metaphorische Verdichtung auf einen Raum, in dem man sich im übertragenen Sinne ein Leben lang aufhält, steht für die Unmöglichkeit, trotz aller Vermeidung von Risiken ein gleichsam sicheres Leben zu führen. Eine einzige vereiste Stelle auf der Straße des Lebens (und zwar an einem sonnigen Märztag, also völlig unerwartet) kann reichen, um das Steuer vollkommen aus der Hand und vermeintliche Gewissheiten für immer zu verlieren.

Ehrliche Liebe

Die ehrliche Liebe zwischen zwei Menschen folgt keiner Choreographie. Man kennt die Schritte vorher – auch wenn man es vielleicht noch gar nicht weiß.

Ein eigenes Zitat in Anlehnung an einen Satz aus Dana Grigorceas „Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen“ – und meine literarische Antwort auf die Geburt meiner Tochter Anna-Maria am 17.4.2018 und die Liebe zu meiner Frau.

Feierabendliche Goldränder

Ausgepumpte, fast reglos in ihren Stühlen liegende Menschen empfinde ich als besonders schön. Sie wirken, mild von der Sonne beschienen, wie die endlich zur Betrachtung freigegebenen feierabendlichen Goldränder unserer Leistungsgesellschaft.“ (Wilhelm Genazino, „Das Glück in glücksfernen Zeiten“)

In diesen ersten Sätzen seines Romans deutet Genazino an, worum es im Folgenden geht. Sein Protagonist Gerhard Warlich sitzt nach einem langen Arbeitstag in einem Café und beobachtet die Menschen um sich.  Es geht ihnen offenbar allen wie ihm: Sie sind müde, fertig, entkräftet, von einer Arbeit, die sie ernährt, aber dumpf zurücklässt. Und der Beobachter Warlich, vom Leben übermannt, fragt sich: Muss das so sein? Geht leben/Leben nicht auch anders? Es ist diese eine Frage, die dem ganzen Roman seine subtile Sprengkraft verleiht und den Leser mit der gleichen Frage zurücklässt, die wir alle für uns selbst zu beantworten haben.

Zufriedenheit

Und es begann dieses beschwingte Geplauder zufriedener Menschen, die nichts als einsehen, dass es ein schöner Tag ist, mit einer hellen Sonne und weißen Schwänen auf dem See, in einer der schönsten Städte der Welt, mit freundlichen, sorglos wirkenden Menschen.“ (Dana Grigorcea, „Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen“)

 

Mit diesen Worten zu Beginn ihrer Novelle „Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen“ rahmt Dana Grigorcea die Handlung einer Liebesgeschichte. Die eigentlich in den hohen Kreisen der Stadt Zürich verkehrende Ballerina Anna lernt zufällig den Gärtner Gürkan kennen, der ihr auf Anhieb sympathisch ist. Sie mögen und verlieben sich. Die Autorin zeigt mit diesen Worten, wie einfach eine Beziehung zwischen zwei Menschen sein kann, die sich gern haben und schließlich lieben lernen. Es sind keine großen Erkenntnisse und theoretischen Gedanken, wie sie Annas liebenswürdiger und bemühter Mann, vor allem aber ihre Berufswelt, die Kunst, von sich geben, die der Protagonistin wie auch dem Leser im Gedächtnis bleiben. Es sind jene einfachen, und dadurch wahrhaften Begegnungen, die im Leben so wichtig zu sein scheinen und es deshalb lebenswert machen.

 

 

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